Hochsensibilität und ADHS: Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Mythen

Hochsensibilität ADHS: Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Mythen

Hochsensibilität, ADHS? Wenn die Welt zu laut, zu schnell, zu grell ist

Es ist Samstagnachmittag. Du schlenderst durch die Innenstadt, eigentlich willst du nur ein paar Besorgungen machen.
Doch schon nach wenigen Minuten prasseln Geräusche, Gerüche und Eindrücke ungebremst auf dich ein: das Quietschen der Straßenbahn, das Lachen einer Kindergruppe, der Duft von frisch gebackenem Brot und das Parfum der Passanten. Du nimmst alles gleichzeitig wahr, kannst nicht wirklich „ausblenden“.

Vielleicht bist du einfach hochsensibel – oder du hast ADHS.
Vielleicht hast du sogar schon beide Begriffe gegoogelt und festgestellt:
Vieles klingt ähnlich, beides hat mit einer intensiven Wahrnehmung zu tun.

Die Wahrheit ist: Beide Beschreibungen haben Schnittmengen. Beide können dein Leben bunt und intensiv machen – aber auch anstrengend. Trotzdem handelt es sich um zwei sehr unterschiedliche Dinge. In diesem Artikel begleite ich dich durch eine Reise in beide Welten. Ich erkläre dir, was sie unterscheidet, was sie verbindet, und wie du deinen Alltag liebevoll und klar strukturieren kannst, damit er leichter wird.

1. Hochsensibilität – das Geschenk der feinen Antennen

Hochsensibilität ist keine Krankheit und keine Diagnose.
Sie ist ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, das etwa 15–20 % der Menschen betrifft.
Elaine Aron, die den Begriff in den 1990ern prägte, beschreibt Hochsensibilität als „eine tiefere Verarbeitung von Reizen“ – körperlich, emotional und mental.

Wie sich Hochsensibilität anfühlt:

  • Du bemerkst leise Geräusche, feine Gerüche oder kleinste Veränderungen in der Mimik eines Menschen.
  • Du denkst oft lange über (zwischenmenschliche) Erlebnisse nach, auch wenn andere längst weitergezogen sind.
  • Du hast ein starkes Bedürfnis nach Harmonie – und leidest, wenn Konflikte in der Luft liegen.

„Hochsensible nehmen mehr Informationen pro Sekunde auf und verarbeiten diese intensiver.
Das ist wie ein High-Definition-Fernseher – schön, aber manchmal anstrengend.“
– Dr. Elaine Aron, Psychologin

Praxisbeispiel:
Anna sitzt mit Freundinnen im Café. Sie lachen, reden, trinken Cappuccino.
Plötzlich spürt Anna, dass eine Freundin am anderen Ende des Tisches bedrückt wirkt – noch bevor diese etwas sagt.
Nebenbei stört sie das laute Klappern von Geschirr und die schrille Musik im Hintergrund.
Nach einer Stunde ist Anna erschöpft – nicht, weil das Treffen unangenehm war, sondern weil zu viele Eindrücke gleichzeitig auf sie einwirkten.

Stärken der Hochsensibilität:

  • Kreativität und Fantasie
  • Empathie und Einfühlungsvermögen
  • Gutes Gespür für Details und Stimmungen
  • Tiefes, reflektiertes Denken

Herausforderungen:

  • Reizüberflutung in lauten oder hektischen Umgebungen
  • Emotionales „Mitfühlen“ bis zur Erschöpfung
  • Schwierigkeit, Grenzen zu setzen
  • People Pleasing

2. ADHS – das kreative Gedankenkarussell

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurobiologische Besonderheit, die das Gehirn betrifft.
Das Gehirn verarbeitet Reize, Emotionen und Impulse auf andere Weise.
Betroffene erleben oft ein Wechselspiel aus intensiver Aufmerksamkeit (Hyperfokus) und Ablenkbarkeit.

Wie sich ADHS anfühlt:

  • Gedanken springen schnell von einem Thema zum nächsten.
  • Lange Konzentration fällt schwer, besonders bei langweiligen Routineaufgaben.
  • Emotionen kommen und gehen in schneller Abfolge.
  • Körper oder Geist wollen ständig „in Bewegung“ bleiben.

„ADHS ist keine Frage von Willenskraft, sondern von Neurochemie.
Die Filtermechanismen im Gehirn arbeiten anders.“
Dr. Russell Barkley, ADHS-Forscher

Praxisbeispiel:
Tom möchte eine wichtige E-Mail schreiben.
Nach dem ersten Satz fällt ihm ein, dass er Wäsche waschen muss.
Auf dem Weg zur Waschmaschine sieht er das halbvolle Bücherregal, beginnt umzuräumen, stolpert über eine alte Fotobox –
und eine Stunde später ist die E-Mail immer noch ungeschrieben.

Stärken bei ADHS:

  • Ideenreichtum und Kreativität
  • Energie und Begeisterungsfähigkeit
  • Flexibilität und schnelles Reagieren in neuen Situationen

Herausforderungen:

  • Organisationsprobleme
  • Impulsives Handeln
  • Schnelle emotionale Schwankungen
  • Schwierigkeiten mit langfristigem Fokus

3. Wo sich Hochsensibilität und ADHS überschneiden

Trotz der unterschiedlichen Ursachen gibt es einige Erlebnisse, die beide Gruppen kennen:

  • Reizoffenheit: Die Welt kommt intensiv herein – manchmal zu intensiv.
  • Emotionale Intensität: Gefühle werden stärker und unmittelbarer erlebt.
  • Erschöpfung durch Reizflut: Nach einem Tag voller Eindrücke ist „der Akku leer“.

Manchmal ist der äußere Eindruck ähnlich: Jemand zieht sich zurück, wirkt unruhig oder vermeidet volle Orte.
Doch der Grund dahinter ist unterschiedlich:

  • Hochsensible suchen Ruhe, um weniger Reize aufzunehmen.
  • Menschen mit ADHS suchen Abwechslung, weil der innere Antrieb schnell nachlässt.

4. Hochsensibilität ADHS: Die wichtigsten Unterschiede

Hier eine klare Übersicht, die dir hilft, Hochsensibilität und ADHS schnell zu vergleichen:

Hochsensibilität ADHS: Unterschiede - Infografik

5. Mythen und Missverständnisse

Mythos 1: „Hochsensibilität und ADHS sind dasselbe.“
❌ Nein. Die Ursachen und Funktionsweisen unterscheiden sich grundlegend. Es gibt aber auch einige Überschneidungen, wie z.B. empathisch sein, viel fühlen, verträumt sein, sich durch zu viele Reize schnell erschöpft fühlen, etc.

Mythos 2: „ADHS bedeutet, man kann sich nie konzentrieren.“
❌ Menschen mit ADHS können sich extrem konzentrieren – manchmal sogar stundenlang –, wenn sie etwas fesselt. Diesen Zustand nennt man „Hyperfokus“.

Mythos 3: „Hochsensible sind schwach.“
❌ Hochsensibilität ist keine Schwäche, sondern eine besondere Wahrnehmungsfähigkeit. Hochsensible können sehr stark und resilient sein.


6. Einige ganz simple Alltagstipps

Für Hochsensible

  • Plane bewusste Rückzugszeiten und Pausen ein.
  • Finde dein „Happy Place“ – einen Ort, an dem du dich so richtig wohlfühlst.
  • Nutze Achtsamkeits- und Entspannungstechniken, die zu dir passen. Manche mögen Meditation, manche machen lieber einen Bodyscan oder hören einen Podcast.
  • Achte auf Reizreduktion (Lärm, zu viele Dinge, die herumstehen,…).

Für Menschen mit ADHS

  • Strukturiere den Tag mit klaren Routinen.
  • Frage dich am Vortag: was steht morgen an? Was ist besonders wichtig? Gehe alles in Ruhe durch, um möglichst keine Termine und andere Dinge zu vergessen. Schreibe dir so viel wie möglich auf.
  • Falls du prokrastinierst, also Dinge aufschiebst: suche dir jemanden, der parallel mit dir Dinge erledigt, damit du mehr Verbindlichkeit hast.
  • Mache viel Sport und Bewegung, besonders wenn du dich gestresst fühlst. Manchen hilft auch Meditation in Kombination mit Bewegung.

Für beide

  • Sei liebevoll zu dir.
  • Kommuniziere deine Bedürfnisse offen.
  • Feiere kleine Erfolge.

7. Mini-Check: Hochsensibel oder ADHS?

(kein diagnostisches Tool, nur zur Selbstreflexion)

Tendenz Hochsensibilität, wenn …

  • du vor allem in lauten, chaotischen Umgebungen schnell erschöpft bist
  • du Emotionen anderer Menschen sehr stark spürst
  • du viele feine Details gleichzeitig wahrnimmst

Tendenz ADHS, wenn …

  • du Schwierigkeiten hast, Aufgaben zu Ende zu bringen
  • du oft impulsiv handelst
  • du dich schnell langweilst und Abwechslung suchst

8. FAQ – Häufig gestellte Fragen

Kann ich beides gleichzeitig haben?
Ja, das ist möglich. In diesem Fall hilft es, die besten Strategien aus beiden Bereichen zu kombinieren.

Wie finde ich heraus, was ich habe?
Selbsttests geben erste Hinweise, aber eine genaue Abklärung sollte durch eine Fachperson erfolgen.

Muss ADHS immer mit Medikamenten behandelt werden?
Nein. Es gibt viele hilfreiche nicht-medikamentöse Strategien. Es hängt aber u.a. vom Leidensdruck ab.


9. Fazit: Finde deinen eigenen Weg

Egal ob Hochsensibilität, ADHS oder beides – dein Gehirn und deine Sinne sind einzigartig.
Mit dem richtigen Wissen und den passenden Strategien kannst du aus einer vermeintlichen Herausforderung das Beste herausholen. Und immer geht es darum, deinen eigenen Weg zu finden. Was macht dein Leben leichter? Was tut dir gut? Was hilft dir am meisten? Gerne unterstütze ich dich professionell dabei mit bewährten Strategien aus meiner Praxis.

Mein Impuls für dich: Nimm dir heute eine Viertelstunde nur für dich. Spüre nach, was dir guttut, und schenke dir genau das. Deine Wahrnehmung ist wertvoll – weil sie dich zu dir selbst führt.

Foto: Foto von Sam McNamara auf Unsplash

Mag. Natalie Eichinger

Dipl. Psychologische Beraterin

Ich unterstütze hochsensible Menschen dabei, in schwierigen Lebenssituationen Mut zu fassen und wieder Kraft zu tanken. Dabei arbeite ich mit nachhaltigen und sanften, aber sehr effektiven Methoden. Die Beratungen zielen darauf ab, das Handlungsspektrum zu erweitern, Veränderungsprozesse anzustoßen und das Wohlbefinden zu steigern. Wie schön, wenn ich auch dich ein Stück deines Weges begleiten darf!
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